Tschernobyl wird weltweit mit hoch radioaktiver Verseuchung verbunden. Ein Synonym für die größte nukleare Katastrophe der Geschichte, ein Synonym für Schrecken, Leid und Tod. Doch ganz so lebensfeindlich ist die Sperrzone rund um das Kernkraftwerk gar nicht mehr. Natur- und Tierwelt erobern die vom Menschen eingenommen Lebensräume zurück, während tausende Arbeiter und Touristen Tag für Tag in die Sperrzone strömen.
Inhalte
- Tschernobyl heute
- Das Kernkraftwerk Tschernobyl
- Neue Schutzhülle für das Kernkraftwerk
- Arbeiterschaft trifft Reisende
- Prypjat - Die Arbeiterstadt im Herzen der Zone
- Die Strahlung in Tschernobyl - Heute und in Zukunft
- Das Tierreich in Tschernobly
Tschernobyl heute
Eine hochgradig verseuchte Umgebung, in der kein Leben möglich ist und der Tod hinter jeder Ecke lauert. So in etwa stellen sich viele Menschen die 4.300 km² große Sperrzone rund um das Kernkraftwerk Tschernobyl vor. Doch weit gefehlt. Zwar ist es nach wie vor äußerst gefährlich, sich innerhalb der Zone zu bewegen, dennoch halten sich täglich mehrere Tausend Menschen in der Zone auf und auch Tiere sind keineswegs ausgestorben. Das liegt vor allem daran, dass bei der Katastrophe selber nur vergleichsweise geringe Mengen radioaktives Material in die Luft gelangt sind und durch den Wind in Richtung Zentraleuropa getragen wurden. Nur wenig Material hat die Zone selber verseucht, weshalb der Aufenthalt zunächst einmal recht ungefährlich ist.
Das Kernkraftwerk Tschernobyl
Das Kernkraftwerk von Tschernobyl mit einer geplanten Nennleistung von fast 6.000 Megawatt, war trotz der gigantischen Katastrophe bis ins Jahr 2000 in Betrieb. Das Kraftwerk bestand zum Zeitpunkt der Katastrophe aus 4 Reaktoren, 2 weitere befanden sich zu dieser Zeit noch im Bau. Nach der Katastrophe liefen die Reaktoren 1 und 2 bis 1993 weiter, Reaktor 3 sogar bis Dezember 2000.
Der Reaktorblock 4 wurde direkt nach der Katastrophe mit über 5.000 t Blei, Sand und Flüssigkeiten zugeschüttet, anschließend wurde aus Beton ein Sarkophag darüber errichtet, um den weiteren Austritt von radioaktivem Material zu verhindern. Da diese Schutzhülle in aller Eile errichtet wurde, sind bauliche Mängel vorhanden und das Dach droht bereits einzustürzen. Um diese Situation zu entschärfen, wurde bereits im Jahr 2007 ein Projekt verabschiedet, einen neuen, noch größeren Sarkophag zu errichten.
Neue Schutzhülle für das Kernkraftwerk
2007 verabschiedeten 40 Länder sowie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) den Bau der neuen Schutzhülle. Die Kosten wurden anfangs mit ca. 1,3 Milliarden Euro veranschlagt.
Heute liegen die Schätzungen für die Fertigstellung der Hülle bei circa 2 Milliarden Euro, bereitgestellt von der EBRD und den Geberländern, darunter auch Deutschland. Die Bauarbeiten wurden rechtzeitig abgeschlossen und der Sakopharg erreichte am 29. November 2016 seine finale Position über dem Reaktorblock 4 Neben dem Sarkophag selber werden auch Fabriken errichtet, die den radioaktiven Müll weiterverarbeiten, der innerhalb der Schutzhülle sowie in den übrigen drei Reaktoren anfällt.
Wenn du mehr erfahren möchtest, findest du weiterführende Informationen auf der Seite Eine neue Schutzhülle für das AKW Tschernobyl.
Arbeiterschaft trifft Reisende
Jeden Tag reisen bis zu 3.000 Arbeiter in die Sperrzone, um dort am Bau der neuen Schutzhülle mitzuwirken, radioaktiven Müll zu entsorgen oder die Infrastruktur auszubauen. Die meisten kommen aus dem 50 km östlich gelegenem Ort Slawutytsch. Neben dem Bau der neuen Schutzhülle arbeiten hunderte Menschen daran, hunderttausende Kubikmeter radioaktiven Mülls zu bergen und zur Beseitigung in Richtung Atomkraftwerk zu befördern. Denn auf einem Gelände der Größe von 120 Fußballfeldern wurde nach der Katastrophe und während dem weiteren Betrieb des Kraftwerks schwach radioaktives Material in Gräben gekippt und zugeschüttet. Zudem befinden sich knapp 21.000 Brennstäbe aus den Reaktoren 1 bis 3 in einem Nasslager und rosten dort vor sich hin.
Während in der Zone fleißig am Atommüllabbau und der neuen Schutzhülle gearbeitet wird, besteht eine große Chance, Touristen über den Weg zu laufen. Trotz der schrecklichen Vergangenheit lassen es sich jährlich tausende Abenteuerlustige und Interessierte nicht nehmen, die Zone zu bereisen. Mit entsprechender Genehmigung ist es möglich, die Zone zu bereisen und neben dem Atomkraftwerk und dessen Schutzhülle auch Prypjat zu besuchen und beeindruckende Fotos zu machen. Weitere Informationen sind unter Reise nach Tschernobyl zu finden. In der Galerie wurden einige interessante Fotos gesammelt.
Prypjat - Die Arbeiterstadt im Herzen der Zone
Prypjat (auch Prypiat, engl. Schreibweise), ist die Großstadt im Herzen der Zone, in der ehemals die Arbeiter des Kernkraftwerks Tschernobyl mit ihren Familien lebten. Die Angaben über die letzten Einwohnerzahlen schwanken zwischen 40.000 und 80.000 Einwohnern, auf Wikipedia sind 49.360 Einwohner angegeben. Einige Tage nach der Katastrophe vom 27. bis zum 29. April 1986, kurz vor dem bevorstehenden Maifest, wurde die gesamte Bevölkerung evakuiert. Mitnehmen durfte man nur das nötigste und eine Rückkehr wurde jahrelang verweigert. Diese Evakuierung hinterließ eine Stadt, in der man das Gefühl gehabt haben muss, dass sich die Bevölkerung erst vor einigen Minuten quasi in Luft aufgelöst hat. Auf den Betten sitzen nach wie vor die Puppen der Kinder, auf den Schreibtischen liegen fast fertig geschriebene Briefe und Berichten zufolge hingen selbst Jahre nach der Katastrophe noch die Plakate für das Maifest in den Straßen.
Zwei Sehenswürdigkeiten, die für jeden Touristen auf jeden Fall auf der To Do Liste stehen sollten, sind das Schwimmbad und der kleine Vergnügungspark mit dem fast schon ikonisch anmutendem Riesenrad (links auf dem Bild zu sehen). Gerade auf viele Fotografen übt das alte, leicht verfallene, aber dennoch recht gut erhaltene Prypjat sowie das Kraftwerk einen besonderen Reiz aus. Man kann hier in Ruhe seine Fotos machen, Security gibt es keine. Man kann auch nach Lust und Laune in alten Dokumenten stöbern, für viele junge Reisende ist die Landschaft ein wahrer Abenteuerpark, der förmlich nach Selfies schreit, was wegen der entsetzlichen Vergangenheit durchaus etwas morbide anmuten mag.
Die Strahlung in Tschernobyl - Heute und in Zukunft
Im Durchschnitt liegt die Strahlenbelastung nur wenig höher als die der Normalstrahlung, welcher wir jeden Tag hier in Deutschland ausgesetzt sind.
Die Strahlenbelstung bei einem 24-stündigen Aufenthalt in Tschernobyl ist genau so hoch wie bei einem einzigen Flug von Paris nach New York City.
Längere Aufenthalte werden jedoch trotzdem nicht empfohlen, da die Strahlenbelastung dennoch stark schwanken kann, zudem stellen Hot Spots eine tödliche Gefahr dar.
Gerade die Hot Spots sind stärker verseucht und werden es noch einige hundert Jahre bleiben. Die Halbwertszeit des radioaktiven Isotops Cäsium-137, das hauptsächlich bei der Katastrophe in die Umwelt geschleudert wurde, liegt bei ungefähr 30 Jahren. Das heißt heute, 30 Jahre nach der Katastrophe, hat sich die Menge der gefährlichen Nuklide erst halbiert. Experten sagen, dass erst nach zehn Halbwertszeiten, in diesem Fall also 300 Jahren, davon gesprochen werden kann, dass das Cäsium nicht mehr vorhanden und somit für den Menschen nicht mehr gefährlich ist.
Die wirklich gefährlichen radioaktiven Stoffe wie Plutonium und Uran, beide mit Jahrtausenden langen Halbwertszeiten, haben sich Gott sei Dank zum größten Teil im Inneren des Reaktorblocks 4 zu einer Lava-artigen Masse verbunden. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Stoffe nicht mehr ans Tageslicht gelangen. Weitere Informationen sind unter Strahlenbelastung durch Tschernobyl zu finden.
Das Tierreich in Tschernobyl
Durch den Umstand, dass in großen Teilen der Zone die Strahlenbelastung nur wenig über der Normalstrahlung liegt ergibt sich ein verblüffender Umstand: die Umwelt rund um das Kraftwerk und die Stadt Pripjat gedeiht und bietet mittlerweile zahlreichen Tieren einen ruhigen Rückzugsort. Entgegen der Vorstellung, dass die Katastrophe auch fatale Folgen für die Tiere haben könnte, siedelten sich bereits vor Jahren Tiere in der Sperrzone ein. Forscher wie Marina Shkvyria haben viele unterschiedlichen Arten identifiziert: neben Elchen, Pferden, Rehen und Biebern finden sich Spuren von Eulen, Braunbären, Wölfen und Füchsen. Umso erfreulicher ist die Nachricht, dass die Weiden und Wälder in Tschernobyl heute auch bedrohten Tierarten wie den Przewalski’s Pferden eine Heimat bieten.
Ebenso belegen Studien wie die von Jim Beasley, Biologe an der University of Georgia, dass die Tierbestände durch die Strahlenbelastung nicht radikal dezimiert wurden. Jedoch haben die erhöhten Strahlendosen trotzdem Auswirkungen auf die Tiere, die sich 24 Stunden am Tag in der Zone aufhalten. Beispielsweise zeigen Wühlmäuse eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, am grauen Star zu erkranken. Ernsthafte Mutationen konnten die Forscher jedoch nicht ausfindig machen. [Th1]